Thema: "fragen ohne antworten" oder "ich weiß wie viele, aber wer bin ich?" oder "heulen ohne system" oder "da muss mal luft dran bzw. raus" oder... Mi 22 Feb - 6:34:48
was sollst du denken, wenn man dinge sagt, die man eigentlich nicht meint? was sollst du sagen, wenn du dinge denkst, die man besser so verschweigt? was sollst du träumen, wenn dein traum dich aus dem leben reißt? wie sollst du leben, wenn dein leben sich mit andern träumen beißt? […] was sollst du suchen, wenn, um zu finden, du dich in dir selbst verläufst? was sollst du finden, wenn du weißt, dass du den rest der welt enttäuschst? wie sollst du wissen, wo dein schatz liegt und ob du ihm verfällst, wenn du dich immer nur an dem, was du nicht selbst verstehst, festhältst? […] wie sollst du fliegen ohne leichtsinn, ohne gegenwind und mond? wie sollst du landen, wenn dein heimweh, wenn die schwerkraft dich verschont? wie sollst du frei sein, wenn die freiheit als bestimmung uns regiert? kannst du bestimmen über dich und wirst du wollen, wenn’s passiert?
ich weiß es nicht […]
(sebastian hackel)
die psyche ist ein komisches etwas und stell ich sie mir körperlich vor, als ein ganzes, dann muss es eine kreatur mit vielen köpfen, armen und beinen sein, ständig in bewegung und doch wie versteinert, zu glitschig, um sie zu fassen. alles an ihr agiert gleichzeitig miteinander und gegeneinander. da sind unzählige augen, milchigweiß und strahlendblau, neugierig aufgerissen und ängstlich zusammengekniffen, jedes sieht die welt anders oder nichts oder gar dinge, die nicht sind. die münder wispern, schluchzen, singen, lachen, trösten und schreien – lärmende stille. die haut ist samtweich, dann dünn und verletzlich, zeigt narben und hornhaut, die nichts mehr spürt. das ausmaß nur erahnbar, ein blick durchs schlüsselloch – mehr scheint nicht möglich. hände, die die tür öffnen wollen und hände, die zugleich alles verriegeln. neugierde und angst zugleich, vor dem, was sich da verbirgt und doch die einsicht, dass es ans licht muss, zumindest der kleine teil, der nicht mitwuchs, der mit den kleinen händen, die sich nicht schützen konnten, der mit dem kleinen mund, der verstummte als er nicht gehört wurde. wie die kreatur überzeugen, dass das dunkle nicht wirklich schützt?
da muss luft dran, damit es heilt, hat meine oma immer gesagt. recht hatte sie – das pflaster muss runter, aber es ziept arg.
Mariaestrella
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Thema: Re: "fragen ohne antworten" oder "ich weiß wie viele, aber wer bin ich?" oder "heulen ohne system" oder "da muss mal luft dran bzw. raus" oder... Mi 22 Feb - 10:14:42
und manchmal, wenn man das Pflaster runter reisst, und sich schon eine kleine dünne Borke gebildet hat, reisst man Diese mit runter und dann fängt es gleich wieder an weh zu tun und zu bluten.
und manchmal spielt man wissentlich daran rum und zieht die Borke noch ein paar mal runter oder kratzt Sie sich wieder auf und wieder tut es weh und wieder blutet es.
geht so
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Thema: Re: "fragen ohne antworten" oder "ich weiß wie viele, aber wer bin ich?" oder "heulen ohne system" oder "da muss mal luft dran bzw. raus" oder... Mi 22 Feb - 12:04:37
stimmt, aber man kann auch zwanzig pflaster draufkleben, dann siehts von außen ganz gut aus, aber wenn der dorn noch steckt, wird es nicht helfen, das einundzwanzigste draufzukleben. diese ganzen kleinen denk- und verhaltensmuster, die man sich zum schutz nach außen zugelegt hat, sind zwar nützliche überlebensstrategien und wirklich eine glanzleistung der psyche, aber sie überdecken nur. kein baumeister reißt gern seine bauwerke ab, aber auch eine kunstvoll verzierte mauer ist eben nur eine mauer. leben heißt das ziel, nicht überleben - so oder so ähnliche sollte es wohl lauten und ich arbeite immer noch mit nem hämmerchen.*g*
Mariaestrella
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Thema: Re: "fragen ohne antworten" oder "ich weiß wie viele, aber wer bin ich?" oder "heulen ohne system" oder "da muss mal luft dran bzw. raus" oder... Do 23 Feb - 2:26:32
sie überdecken nicht nur, sie blockieren auch. Man ist nicht frei für was neues und glaube mir, ich bin ein Meister im verdrängen. Wenn ich nur halb so gut im verarbeiten wäre, säße ich wohl jetzt nicht hier.
Denke zumindest, das es daran liegen könnte.
Aber kann man jetzt noch ca. 25 Jahre aufarbeiten?
Bekam gerade ein Schreiben von der Rentenkasse, da wären noch Zeiten, die nicht geklärt wären. Es handelt sich dabei um Selbigen Zeitraum. Tja, nun versuche mal nach so langer Zeit herauszufinden, was du an einem bestimmten Tag gemacht hast. Ich lege das erst einmal auf den Stapel da ganz weit hinten. Gibt aktuellere Dinge, die wichtiger sind.
Z. B. meinen Sohn zu überzeugen mit seinem Vater konakt aufzunehmen. Habe mittlerweile seine email adresse herausgefunden und ihn angeschrieben. Wo- mit ich allerdings nicht gerechnet habe, das er mir zurückgeschrieben hat.
Das Leben überfordert mich leicht.
Sorry, bin abgeschweift....geschwiffen?....geschwoffen?
geht so
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Thema: Re: "fragen ohne antworten" oder "ich weiß wie viele, aber wer bin ich?" oder "heulen ohne system" oder "da muss mal luft dran bzw. raus" oder... Do 23 Feb - 11:45:53
"Aber kann man jetzt noch ca. 25 Jahre aufarbeiten?"
das habe ich mich auch gefragt bzw. ob sich das jetzt noch lohnt. immerhin hatte man ja viele jahre zeit, sich strategien zu erarbeiten, die sicher nicht so leicht korrigierbar sind.
ich vergleiche das mit einer alten truhe, die auf dem dachboden steht. dort stecken die dinge drin, in denen man nicht wühlen möchte, altlasten, die man aber nicht los wird. weggeschlossen, aber eben nicht weg. sie werden auch nie verschwinden. aber statt die dinge unter verschluss zu halten, sollte es doch möglich sein, die truhe zu öffnen und den inhalt stück für stück rauszunehmen, ganz genau anzuschauen, um sie dann, wohlwissend, dass sie da sind, aber mit einem anderen blick darauf, zurücklegen zu können. so zumindest die hoffnung.
allein draufzuschauen bringt auch nicht viel, da der selbstschutz den eigenen blick verschleiert. (und das find ich echt beeindruckend, wie da scheinbar automatisch mechanismen entwickelt werden. schon faszinierend, aber nicht immer hilfreich) es fällt einem ja selbst oftmals leichter, bei anderen zu erkennen, wie da eins ins andere greift. von daher braucht es vielleicht ein zweites paar augen mit objektiveren blick und sich durch diese augen zu sehen...innerlich alarmstufe 3 und alles schreit "will nicht, will nicht, will nicht"*g*
wenn man dann mit 70 sagen kann "sieht ja jetzt alles ganz hübsch aus", denkt man sich vom jetzigen standpunkt aus - na da brauch ich das auch nicht mehr, aber das nie sagen zu können...nee, dann besser spät als nie (mental im schaukelstuhl, strickend und zufrieden grinsend*g*)
Dihydrogenoxid
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Thema: Buchtipp Do 23 Feb - 20:07:09
Ich habe einen Buchtipp bekommen. Es handelt sich um ein kleines Büchlein, das gut zu lesen ist. Alice Miller: Das Drama des begabten Kindes und die Suche nach dem wahren Selbst, Eine Um- und Fortschreibung, Neufassung, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1995
geht so
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Thema: Re: "fragen ohne antworten" oder "ich weiß wie viele, aber wer bin ich?" oder "heulen ohne system" oder "da muss mal luft dran bzw. raus" oder... Fr 24 Feb - 3:53:22
danke dir.
ich bin bei der suche erst bei dem vorgängerbuch gelandet, aber die amazon-beschreibung für dieses klingt schon vielversprechend:
"Das Drama des begabten, das heißt sensiblen, wachen Kindes besteht darin, daß es schon früh Bedürfnisse seiner Eltern spürt und sich ihnen anpaßt, indem es lernt, seine intensivsten, aber unerwünschten Gefühle nicht zu fühlen. Obwohl diese "verpönten" Gefühle später nicht immer vermieden werden können, bleiben sie doch abgespalten, das heißt: Der vitalste Teil des wahren Selbst wird nicht in die Persönlichkeit integriert. Das führt zu emotionaler Verunsicherung und Verarmung (Selbstverlust), die sich in der Depression ausdrücken oder aber in der Grandiosität abgewehrt werden."
das bringt es schon auf den punkt. wenn kinder "gefallen" wollen, um die erwartungen der eltern zu erfüllen oder so deren heile welt zu beschützen, um sich selbst darin einen platz zu sichern, können eigenartige dinge bei rauskommen und vor dem mut, dieser heilen welt abzuschwören, steht die angst, keinen platz mehr darin zu haben, auch wenn man den vielleicht nie hatte.
ich las vor einiger zeit: "die verantwortung für andere endet, wo die verantwortung für sich selbst anfängt." (glaube r.d.precht, aber nicht sicher) aber schon schwer...
ich setz das buch auf meine liste.
sidneybristow
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Thema: Re: "fragen ohne antworten" oder "ich weiß wie viele, aber wer bin ich?" oder "heulen ohne system" oder "da muss mal luft dran bzw. raus" oder... Fr 24 Feb - 7:23:18
alice miller ist auf alle fälle klasse, sie beschreibt, wie es zur selbstwertstörung des kindes kommt durch die systematische abspaltung sogenannter negativer oder besser unerwünschter gefühle. das ist auch der knackpunkt bei der aufarbeitung: die angst, dass gefühle wieder hochkommen, die man so schön gedeckelt hatte.
mir persönlich haben familienaufstellungen nach bert hellinger geholfen. ich lese viel, bin auch schon zur therapie gerannt, habe etliche gespräche mit freundinnen gehabt, aber den durchbruch schaffte das familienstellen. weil es energetisch greift und gefühle in einem auslöst und interessanterweise auch in den beteiligten familienangehörigen. mein vater konnte mir 14 tage nach einer aufstellung mal sagen, dass er mich liebt, was er 40 jahre nicht über die lippen brachte. zur info: beim familienstellen sind die angehörigen gar nicht anwesend, man stellt fremde vertreter an ihre stelle.
was aber der eigentliche hammer war: mit 19 war ich in einem 2nd hand-laden für 50er jahre-klamotten und die verkäuferin kam mit mir ins gespräch über familie und was es manchmal für eine last ist. sie drückte mir eine broschüre über das familienstellen in die hand, aber ich habe fast 20 jahre gebraucht, um dort hinzugehen.
die lösungen sind da: die möglichkeit, menschen (mütter, vätern, usw.) zu verstehen, warum sie dinge so und nicht anders getan haben, ihnen in der folge auch zu verzeihen für alles, was sie einem angetan haben oder falls sie nicht zu einem standen, als man sie brauchte. aber man braucht anleitung. genau wie du schreibst: ein zweites paar augen, ohren und vor allem arme, die einen halten, wenn es ganz schlimm wieder hochkommt.
geht so
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Thema: Re: "fragen ohne antworten" oder "ich weiß wie viele, aber wer bin ich?" oder "heulen ohne system" oder "da muss mal luft dran bzw. raus" oder... Fr 24 Feb - 9:32:01
"...die angst, dass gefühle wieder hochkommen, die man so schön gedeckelt hatte." genau! da ist man mächtig stolz drauf, wie gut man seine gefühle unter kontrolle gebracht hat und dann sagt einem doch der mund, der zu den objektiven augen gehört, man solle die zu- und rauslassen. die kreatur in einem weiß gar nicht was los ist, alle arme reißen die stop-schilder hoch oder versuchen sich sonstwie zu wappnen, um die mauer zu schützen. da geht grad gar nix.*g*
familienaufstellungen - hab ich von gehört. fällt aber schon fast unter "schocktherapie", oder? da muss man sich - na ja, wie bei all dem wohl - drauf einlassen können. ich glaub, es geht da nicht nur um die positionierung, sondern man spricht auch mit den personen als wären sie jene, die sie darstellen - richtig? ich stells mir erschreckend intensiv vor.
"verzeihen" da bin ich vielleicht nicht ganz ehrlich zu mir selbst, aber vom oberflächlichen gefühl her, find ich das gar nicht so wichtig. wer will wem einen vorwurf machen? jeder verhält sich so, wie er es gelernt hat bzw. lernen musste und logischerweise provoziert man mit dem eigenen verhalten wieder reaktionen bei anderen. niemand verhält sich mit absicht falsch, von daher gibt es auch nichts zu verzeihen. man weiß für sich, womit man nicht umgehen kann und womöglich auch durch welches verhalten anderer, dies verursacht wurde. das problem ist nur, wenn sich die anderen dessen nicht bewusst sind, wie soll man es so auflösen, dass zumindest zukünftig eine basis entsteht, auf der man miteinander umgehen kann?
variante a: man lässt alles unausgesprochen und bricht den kontakt ab, dann brauchts keine basis. man beschäftigt sich nicht mehr mit dem auslöser oder zumindest nur für sich allein, aber das ist ein schwerer schritt und irgendwie auch nicht befriedigend.
variante b: man lässt alles beim alten, redet nicht und spielt weiter die rolle, die von einem erwartet wird. verletzt damit natürlich keinen, aber kommt auch nicht weiter, weil man den auslösenden faktoren weiterhin ausgesetzt ist.
variante c: man redet drüber, doch besteht die gefahr, dass das gegenüber es als schuldzuweisung versteht. zudem, wenn das gegenüber sich seines problematischen verhaltens nicht selbst bewusst ist, hat man womöglich auch nicht das recht, ihm dies aufzuzeigen. wer selbst nicht fähig bzw. bereit ist, sich dahingehend zu reflektieren und dies selbst zu erkennen, dem kann man nicht einfach mal so den spiegel vorhalten. das ist heikel.
vielleicht gibt es noch mehr möglichkeiten, aber schon diese drei haben alle vor- wie nachteile und ich wüsst nicht, welche die beste/richtige ist.
Mariaestrella
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Thema: Re: "fragen ohne antworten" oder "ich weiß wie viele, aber wer bin ich?" oder "heulen ohne system" oder "da muss mal luft dran bzw. raus" oder... Fr 24 Feb - 9:34:13
geht so schrieb:
wenn man dann mit 70 sagen kann "sieht ja jetzt alles ganz hübsch aus", denkt man sich vom jetzigen standpunkt aus - na da brauch ich das auch nicht mehr, aber das nie sagen zu können...nee, dann besser spät als nie (mental im schaukelstuhl, strickend und zufrieden grinsend*g*)
Also ich werde mit 70 ganz sicher nicht sagen können "sieht ja jetzt alles ganz hübsch aus", weil bei mir ein heilloses Chaos herrschen wird.
Das kommt davon, wenn Angelegenheiten nicht sofort komplett abgeschlossen werden sondern aus irgendwelchen Launen heraus mal eben so "beiseite" geschoben werden.
Ein Beispiel: Mein erster fester Freund, wir waren fast 4 Jahre zusammen, den habe ich verlassen. Würde man mich heute nach dem Grund fragen müsste ich sagen: Eigentlich gab es keinen wirklich vernünftigen Grund dafür. Das ganze ist nun 22 Jahre her. Früher........damals........also 1818 Kartoffelkrieg ........ja, da hatte ich angeblich einen Grund. Wir hatten uns aus den Augen verloren.....nicht mehr und nicht weniger. Eigentlich lachhaft und lächerlich.
Zweites Beispiel: Mein zweiter Freund auch gleich- zeitig Vater meines Sohnes habe ich auch aus einer "Laune" heraus verlassen. Der Grund? Heute hätte es keinen gegeben, damals gab es Einen. Genauso blöde wie in der vorherigen Beziehung.
Und heute sitze ich hier und sinniere über den Sinn bzw. Unsinn über irgendwelche Trennungen von Menschen, die eigentlich total nett, lieb und vernünftig waren.
Und warum? Weil man immer wieder denkt, das Nachbars Wiese grüner ist.....als die Eigene.
Und schon wieder abgedriftet.
Also alles andere als "sieht ja ganz hübsch aus"
geht so
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Thema: Re: "fragen ohne antworten" oder "ich weiß wie viele, aber wer bin ich?" oder "heulen ohne system" oder "da muss mal luft dran bzw. raus" oder... Fr 24 Feb - 9:53:20
ich drifte mal mit:
kennst du das auch? ich kann mich z.b. unheimlich gut mit leuten zoffen, nach einer woche habe ich schon vergessen, worum es ging, aber ich weiß noch, dass ich sauer bin.*g* dabei gehts offensichtlich nicht ums "was", sondern ums "dass", nämlich dass man verletzt wurde oder zumindest sich verletzt fühlte. daraus folgt - ich brauch nicht beim anderen suchen, wodurch er mich verletzt hat, sondern warum mich das verletzen konnte, sprich warum bin ich in dem punkt so empfindlich.
wenn der grund deiner trennungen für dich heute keiner mehr ist, so war er das aber damals und das "warum" kannst nur du dir beantworten. wenn man dem "warum" nicht nachgeht, steht zumindest zu befürchten, dass es aber immer wieder die möglichkeit gibt, dass sich auch aktuell wieder so ein grund finden lässt, auch wenn er später nicht mehr nachvollziehbar erscheint. er war aber da, nur eben warum...
dieses "hätte man doch nur" - quäl dich doch nicht damit. ändern kannst du es rückwirkend nicht, aber zukünftig ist doch alles möglich.
Balmung
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Thema: Re: "fragen ohne antworten" oder "ich weiß wie viele, aber wer bin ich?" oder "heulen ohne system" oder "da muss mal luft dran bzw. raus" oder... Fr 24 Feb - 20:59:57
geht so schrieb:
".... niemand verhält sich mit absicht falsch, von daher gibt es auch nichts zu verzeihen.
Sorry, aber das liest sich etwas naiv. Es gibt sehr wohl Menschen, die sich bewusst falsch verhalten. Menschen, die dich gnadenlos an die Wand fahren lassen. Sie behandeln dich wie den letzten Dreck, nur um ihre Vorteile, ihre Ziele, ihren Nutzen zu wahren. Man muss es leider akzeptieren, dass es da „draußen“ menschlichen Abfall gibt. Asoziales, verkommenes Gesindel, was nur zum Grunde Mensch ist, weil ihre biologische Zusammensetzung auf einen Menschen schließen lässt.
Insofern sind Schutzmechanismen schon wichtig. Aber man sollte unterscheiden können, bei wem man diese braucht.
Henne Admin
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Thema: Re: "fragen ohne antworten" oder "ich weiß wie viele, aber wer bin ich?" oder "heulen ohne system" oder "da muss mal luft dran bzw. raus" oder... Sa 25 Feb - 3:40:53
Es ist aber schwierig, zu erkennen, wann man diese Schutzmechanismen braucht. Denn gerade dir, die mit Absicht ein falsches ich nach außen geben kann man nur schwer erkennen. Aber stimmt schon, ich versuche bei jedem erst einmal gute Absichten zu sehen.
Was das "hätte man doch nur" angeht, ist es im Nachhinein immer einfacher zu erkennen, was falsch gelaufen ist. Daraus zu lernen ist genauso fast unmöglich, weil die selbe Situation meistens so nicht wieder kommt. Das nächste mal ist es ein wenig anders, und man denkt, es läuft anders.
geht so
Anzahl der Beiträge : 212 Alter : 48
Thema: Re: "fragen ohne antworten" oder "ich weiß wie viele, aber wer bin ich?" oder "heulen ohne system" oder "da muss mal luft dran bzw. raus" oder... Sa 25 Feb - 3:43:34
@balmung
…und er nahm sein schwert und zerfledderte meine kleine naive welt. war das absicht?*g*
der mensch ist von natur aus gut… ja, daran möchte ich glauben. …und die gesellschaft verdirbt ihn. daran glaub ich auch.
jeder sollte sich natürlich zu jemandem entwickeln, der sich der konsequenzen seines verhaltens bewusst ist und von daher fähig ist, abzuwägen, inwieweit er andere in ihrer freiheit, selbstbestimmung, gesundheit etc. beeinträchtigt. und doch wird jeder gründe der rechtfertigung für sein nicht angemessenes verhalten finden, weil er eben nicht dazu befähigt wurde oder weil er lernte, dass es nur auf das eigene vorankommen ankommt oder weil er für andere immer hinten anstand und er zum selbstschutz sich nun an die erste stelle setzt. zumindest kann ich mir nicht vorstellen, dass jemand mit einem selbstbild vom bösen menschen lebt, auch wenn er dies für außenstehende ist.
nein, das ist kein freispruch für z.b. gewalttäter nach dem motto: der arme konnte nicht anders, er hatte eine schwere kindheit. jeder ist für sein handeln selbst verantwortlich und muss dafür geradestehen. aber es kann auch nicht außer acht gelassen werden, dass nicht jeder befähigt wurde, gut und böse zu unterscheiden (ein reines wegsperren für einen zeitraum, der sich nur nach irgendeinem strafkatalog richtet, erscheint mir von daher sinnfrei).
ich dachte bei dem ganzen auch mehr an das verhältnis zwischen kindern und eltern und natürlich machen eltern fehler und natürlich geben sie ihr eigenes fehlverhalten weiter. ich nehme an, alle eltern erwischen sich selbst dabei, dass sie ihren kindern gegenüber ab und an so reagieren, wie sie es von ihren eltern her kennen, selbst wenn sie sich als kinder sagten, dass werde ich bei meinen kindern mal ganz anders machen. eltern waren auch mal kinder und haben bestimmte verhaltensweisen von ihren eltern übernommen, diese wieder von ihren und so weiter. trotzdem ist es nicht richtig und ganz schwer nach „dem schuldigen“ zu fahnden oder diese kette aufzubrechen.
sicher gibt es eltern, die ihre kinder verwahrlosen lassen, sie misshandeln und mit einem verständnisvolles „sie haben es eben selbst nicht anders gelernt“ ist den kindern nicht geholfen – versteht sich von selbst. aber ich möchte zumindest nicht daran glauben, dass eltern kinder in die welt setzen, mit der absicht, diese zu quälen. ich hörs schon: im ergebnis macht es keinen unterschied, aber für mein (naives*g*) menschenbild.
@henne
"Daraus zu lernen ist genauso fast unmöglich, weil die selbe Situation meistens so nicht wieder kommt. Das nächste mal ist es ein wenig anders, und man denkt, es läuft anders."
das stimmt schon. es steht einem auch jedes mal ein anderer mensch gegenüber, der, selbst wenn man sich selbst ähnlich verhält, anders damit umgeht. kann natürlich nur für mich sprechen, aber trotz feiner unterschiede lassen sich muster erkennen, ähnliche situationen auf die man wiederholt ähnlich reagiert. selbst wenn es stets ein bisschen anders abläuft, gibt es ein grundthema.
Balmung
Anzahl der Beiträge : 37 Alter : 54
Thema: Re: "fragen ohne antworten" oder "ich weiß wie viele, aber wer bin ich?" oder "heulen ohne system" oder "da muss mal luft dran bzw. raus" oder... Sa 25 Feb - 12:56:02
Frau Rousseau,
ich muss doch sehr bitten. Ein Schwert, insbesondere eins mit einer sagenumwobenen Geschichte, ist eine elegante Waffe, welche zu feinen Schnitten fähig ist! * g
Deine kleine Welt ist gar nicht so klein. Oder anders ausgedrückt; es gibt Milliarden von Menschen, die daran glauben. Ja, sie wollen sogar das Gute fördern.
>>Die sollst deinen Nächsten lieben, wie dich selbst. Alles, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch. Sei keinem Wesen gegenüber böse gesinnt, sei gleichermaßen freundlich und mitleidvoll gegenüber Freund und Feind. Ihr sollt den Zorn zurückhalten und den Menschen verzeihen. Niemals hört Hass durch Hass auf, Hass hört durch liebe auf. <<
Da wird einem doch richtig warm ums Herzeli. Der Text besteht aus den Geboten bzw. Aussagen der fünf Weltreligionen- Judentum, Christentum, Hinduismus, Islam und Buddhismus.
Ich finde es ja löblich, doch der Alltag sieht meist anders aus. Der wird geprägt durch Neid, List, Intrige, Verurteilung, Angst, Gewalt und Hass. Zu Hause wieder angekommen, sind die meisten Leute lieb, nett, fürsorglich, respektvoll, friedfertig und denken an den anderen
Da stelle ich mir die Fragen: Warum diese Dialektik ? Wenn doch die meisten Menschen angeblich das Gute leben wollen, warum muss ich so höllisch aufpassen, dass ich nicht ins offene Messer laufe ? Warum hinterlassen die Leute bei anderen „verbrannte Erde“ ? Warum muss ich manchmal so sein wie die, die ich an den Pranger stelle?
Da könnte man doch glatt schreiben; vielleicht müsste da mal Luft ran. Oder besser noch, mit Luft mal ordentlich durchpusten * g
sidneybristow
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Thema: Re: "fragen ohne antworten" oder "ich weiß wie viele, aber wer bin ich?" oder "heulen ohne system" oder "da muss mal luft dran bzw. raus" oder... Sa 25 Feb - 13:05:08
alle erfahrungen, egal wie schön oder schmerzhaft sie waren, haben uns zu dem menschen gemacht, der wir heute sind. wenn das ego in der kindheit nicht komplett zerstört wurde, sondern ein bißchen liebe dazu geführt hat, dass man als erwachsener sich der wunden bewusst ist, hat man die chance die methoden zur aussöhnung mit der vergangenheit selbst zu suchen und zu wählen.
denn meine tiefe überzeugung ist, dass nur aussöhnung mit der vergangenheit (also den von anderen erfahrenen Verletzungen aber auch den selbst begangenen an anderen) uns zur ruhe und erkenntnis kommen lässt. sonst kann es nicht zur heilung kommen und es wird immer wieder auswirkungen auf neue beziehungen (egal ob eltern-kind oder mann-frau) haben. in "Auf der Suche nach dem verlorenen Glück" von Jean Liedloff wird beschrieben, dass der Mensch eigentlich nicht auf diese erfahrungen (schmerzbringende, das urvertrauen erschütternde) vorbereitet ist, weshalb die folgen auch so fatal sind. nicht umsonst sind die beziehungen der menschen von gegenseitiger verletzung geprägt.
hydrophiler
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Thema: Re: "fragen ohne antworten" oder "ich weiß wie viele, aber wer bin ich?" oder "heulen ohne system" oder "da muss mal luft dran bzw. raus" oder... Sa 25 Feb - 20:40:22
geht so schrieb:
...eltern waren auch mal kinder und haben bestimmte verhaltensweisen von ihren eltern übernommen, diese wieder von ihren und so weiter. trotzdem ist es nicht richtig und ganz schwer nach „dem schuldigen“ zu fahnden oder diese kette aufzubrechen...
Ist die Suche nach Schuldigen nützlich, befreiend, kurzum: gut für einen selbst?
Ich erinnere, in der Jugend bei Diskussionen heftige Wortgefechte mit meinem Vater ausgetragen zu haben, die bei ihm nicht selten in Killerphrasen mündeten. Die Substanzlosigkeit wurde Programm. Ich wehrte mich innerlich massiv gegen diese Art der Totschlagargumentation und spürte, wie sehr dieses Erwehren mein Denken und Fühlen für diesen Menschen beeinflusste. Er war doch mein Vater und damit Ziel meiner Liebe schlechthin. Wie aber kann ich jemanden aufrichtig und mit reinem Herzen lieben, der mich ob seines Verhaltens zur Weißglut bringen konnte? Damals wusste ich die Antwort auf vorstehende, mir wichtige Frage nicht, heute schon.
Ich habe gelernt auf meine Gedanken zu achten und den Zeitpunkt und das Gewicht meiner Worte neu auszurichten. Mehr ist es nicht, aber auch nicht weniger. Oft gelingt es, nicht immer. Dass es aber oft gelingt, macht mich glücklich.
geht so
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Thema: Re: "fragen ohne antworten" oder "ich weiß wie viele, aber wer bin ich?" oder "heulen ohne system" oder "da muss mal luft dran bzw. raus" oder... So 26 Feb - 0:24:52
@balmung
...an feinen schnitten nuckelnd, aber mit warmen herzeli:
wenn man sich so einen frisch "geschlüpften" erdenbürger anschaut - so zart, mit dicken pausbacken und großen kulleraugen, die jeden anstrahlen - da kann man doch nur etwas reines, unverdorbenes und gutes erkennen. und doch ist schluss mit lustig, wenn sich der hunger meldet. egal, ob andere schlafen wollen, es wird geschrien bis sich jemand um seine bedürfnisse kümmert. dahinter steckt keine böswilligkeit. wir sind eben auch nur tiere, für die das eigene überleben an erster stelle steht und wie tierkinder irgendwann zurechtgewiesen und zurückgebissen werden, muss so ein engelchen lernen, dass es seine bedürfnisse auch mal zurückstellen muss bzw. was es denn wirklich zum leben bedarf, wenn es nach der playstation oder dem neuesten handy schreit. da kommts natürlich auf die "lehrer" an, deren wertvorstellungen und wie sie diese vermitteln. die weichen können da anscheinend in alle richtungen falsch gestellt werden - bis hin zu völliger selbstaufgabe oder rücksichtloser selbstsucht. aber trotzdem ist es doch das umfeld, welches die weichen stellt. was aber nicht heißt, dass keine umleitungen möglich sind.
"Warum muss ich manchmal so sein wie die, die ich an den Pranger stelle?" weil das animalische in uns daraufgepolt ist, alles zu tun, um zu überleben und das menschliche umfeld uns vorgibt, was wir zum überleben (angeblich) brauchen. zugegeben - sehr vereinfacht. aber: was, wenn die anderen, die wir an den pranger stellen, das gleiche denken? ist das nicht auch ein selbstschutz oder gar "freispruch", zu sagen, wir müssen, weil die anderen...?
("Frau Rousseau"...die gesellschaft hat mich...allein beim lesen ein hauch von sinnhaftigkeit meines kleinen lebens...doch noch - wenn auch zu einem toten - mann gekommen...beschämend, wie geprägt ich doch bin*g*)
@sidney
"...nicht umsonst sind die beziehungen der menschen von gegenseitiger verletzung geprägt." das klingt als gäbe es überhaupt keine gesunden menschen, maximal geheilte, was wahrscheinlich sogar zutrifft. mit dem "wie" des versöhnens tu ich mich schwer, ohne andere zu verletzen, aber auch ohne irgendwas weiterhin untern teppich zu kehren. im nächsten leben wär ich gern ein wurm...
@hydro
ich hätte gern ein "gehen sie drei meter geradeaus, links abbiegen und dann auf den knopf mit der aufschrift "lösung" drücken". was man bekommt ist eine antwort, die nichts und alles sagt, aber immer soviel, wie man selbst fähig ist, hinein- bzw. herauszulesen und da tun sich ja wieder abgründe auf.*g*
was ich herauslas war, dass es darum geht, einen anderen weg des umgangs, der kommunikation zu finden, der es dem anderen zugleich erleichtert, sich ohne abwehr diesem zu öffnen. eine veränderung bei sich selbst, die andere reaktionen bewirkt - logisch.
aber stopp mal! so nachvollziehbar das ganze erscheint, auf mich selbst übertragen, regte sich immenser widerstand. da geh ich los und will etwas ändern. ja, "etwas", aber offenbar nicht mich. sch... mauern aber auch. ich schrieb glaub schon, dass ich mir wahrscheinlich selbst was vormache, dass das verzeihen nicht nötig wäre, aber ich glaub, ich kanns nicht oder zumindest noch nicht. ich kann die zusammenhänge verstehen und es somit als unverschuldete schuld betrachten und doch, das kann ich nicht leugnen, wünsch ich mir wohl ein "es tut mir leid" und dafür brauchts konfrontation und damit würde ich verletzen und das erlaube ich mir selbst nicht. uff, ich wünscht, ich wär ein wurm...
sidneybristow
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Thema: Re: "fragen ohne antworten" oder "ich weiß wie viele, aber wer bin ich?" oder "heulen ohne system" oder "da muss mal luft dran bzw. raus" oder... So 26 Feb - 2:40:17
ich stell mal was in den raum, was mir eine freundin sagte, als ich nicht mehr wusste, wie ich mit meiner wut und machtlosigkeit angesichts bestimmter verhaltensweisen umgehen sollte: "betrachte die menschen nur als jemanden, der sich für einen konflikt zur verfügung stellt, an dem du wachsen sollst/kannst. nimm es nicht persönlich, es hätte auch jemand anderes sein können." daran hatte ich erst mal eine ganze weile zu knabbern. unter diesem aspekt erfüllt jeder mensch, der dir begegnet, eine wichtige funktion. oder mit den worten, die ich mal an einer bürotür las: "jeder kunde bereitet uns freude, der eine beim betreten und der andere beim verlassen unseres büros."
vielleicht liest sich das alles locker. trotzdem weiss ich, dass es verletzungen gibt, die man vielleicht nie verzeihen kann, bzw. vergangenheitsanteile, mit denen man sich niemals aussöhnen kann. ich las von einer nonne, die von jugendlichen vergewaltigt worden war, dass sie ihnen tatsächlich eines tages ohne groll begegnen konnte, als sie ihnen verziehen hatte. bevor es protest hagelt: bitte die erste zeile noch mal lesen: "ich stell mal was in den raum"
hydrophiler
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Thema: ... So 26 Feb - 3:14:09
Gerade eben lief ein fremder Hund an unserem Grundstück vorbei. Am Zaun begrüßte er schwanzwedelnd meinen geliebten Rotzlöffel Shabo. Das Schauspiel rotierender Ruten mit gegenseitigem Beschnuppern nahm seinen Lauf. In etwa 30 Meter Entfernung sah ich das Frauchen des fremden Hundes und sie mich. Wir blickten uns einen Moment in die Augen, grüßten einander und ließen unsere Hunde gewähren. Die Dame war die Ruhe selbst, ich auch. Da war keine Spur von Habachtstellung, keine Nervosität, keine Not, den eigenen Hund zurückrufen oder die Situation aufheben zu müssen, denn die Dame und ich verstanden die Sprache unserer Tiere.
Am Mittwoch dieser Woche teilte ich einem Menschen mit, dass er ein Verfahren mit großer Wahrscheinlichkeit verlieren werde. Kaum, dass er das Wort "verlieren" vernommen hatte, brach es aus ihm los: ein verbaler Rundumschlag aus Frust und dem Gefühl, ungerecht behandelt zu werden. Ich ließ ihn gewähren und war nur Zuhörer.
Weißt Du, ich denke, wir sind schlecht im Kämpfen und dafür nicht geschaffen, weil Kämpfen oder Ankämpfen regelmäßig viel Kraft kostet und fast immer mit dem Risiko des Verlierens einhergeht, das uns seinerseits das prächtige Geschenk der Habachtstellung zuteil werden lässt.
Mariaestrella
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Thema: Re: "fragen ohne antworten" oder "ich weiß wie viele, aber wer bin ich?" oder "heulen ohne system" oder "da muss mal luft dran bzw. raus" oder... So 26 Feb - 8:36:21
Ich habe den Vater meines Sohnes ausser Landes aufspüren können. Ich wusste, irgend- wann kommt der Tag. Ich war auch vor ein paar Wochen bei der Kripo, denn er hat Unter- haltsschulden und sich strafbar gemacht, in- dem er einfach so das Land verließ.
Mittlerweile habe ich das mir den Unterhalt für meinen Sohn abgeschminkt und den Groll ebenfalls. Ich nehme ihn jetzt so wie und was er ist...nämlich der "Vater" meines Sohnes.
Wir ziehen jetzt noch die Vorteile daraus und behalten einen freundschaftlichen Kontakt.
Dihydrogenoxid
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Thema: Ein ganzes Leben lang Mo 27 Feb - 7:24:42
Irgendwann distanzierte ich mich von meinem Vater, gründlich, aber nicht ohne ihm all meine Gedanken mitzuteilen. Ich teilte sie ihm mit ohne die Erwartung einer Antwort. Es tat vor allem mir gut, alles herauszulassen, beim Namen zu nennen, ohne Blatt vor´m Mund. Ich war an einem Punkt angekommen, an dem es, er mir egal geworden war. Es waren 6 ausgekotzte computergeschriebene DIN A4-Seiten, per Post versandt und gut. Es kam etwas zurück, tatsächlich. Es war ein Zweizeiler. "Ich wollte in meinem Leben alles richtig machen und habe alles falsch gemacht. Ich finde nicht den Mut, Dich um Verzeihung zu bitten."
Mein erster Gedanke war: " Da lässt er schon das Wort "Verzeihung" in die Tinte fließen und reißt die Hürde. Ein halbes Jahr später war er tot, gestorben an einer Hirnblutung. Es war sein Weg, ich ging meinen weiter.
Jahre später, ziemlich genau 10 Jahre später, sprach ich mit einer Freundin über die Kraft der Gedanken und die Energie, die nie verschwindet - der Glaube daran, dass ein freundlicher Gedanke an jemanden irgendwie auch bei demjenigen ankommt.
Plötzlich wanderten meine Gedanken zu meinem Vater. Mir kamen seine letzten Worte an mich in den Sinn. Ich stellte mir den inneren Druck vor, unter dem er bis zum Schluss gestanden hatte, das Zerbrechen vor dem Leben, aus welchem Grund auch immer. Ich stellte ihn mir vor als ruhelosen Wanderer zwischen den Welten. Es wuchs ein Gedanke von ganz tief drinnen und wollte an die Oberfäche und ich sprach ihn in Gedanken aus: "Papa, ich verzeihe Dir. Ruhe nun in Frieden."
Ob er in der anderen Welt etwas davon gemerkt hat, werde ich wohl nie erfahren. Aber ich habe etwas gemerkt. Der Frieden, den ich ihm (ungfragt) geschenkt habe, hat sich in mir selbst ausgebreitet und mich glücklich gemacht.
Das aber ist kein Patentrezept, denn schon das Aufschreiben hier verleitet den einen oder anderen vielleicht, sehnsüchtig nach diesem einen Moment zu suchen, auf ihn zu warten und es wird ihn so bei niemandem außer mir geben. Aber wenn ein solcher, ein ähnlicher Moment bei jemandem eintritt, wird er genau wissen, dass es sich um einen solchen handelt, und nicht um einen Wunschgedanken, von dem man meint, er käme von innen. Er fühlt sich ganz besonders an.
Während ich Alice Miller lese, wächst bei mir das Gefühl, nicht entrinnen zu können. Alles was wir unseren eigenen Kindern gegenüber tun und sagen wirkt sich irgendwie aus. Ist es uns überhaupt möglich, alles richtig zu machen? Meine eigene Vergangenheit habe ich für mich verstanden und ich habe mein Selbst wiedergefunden. Und dennoch wirkt sich meine Vergangenheit auf mein heutiges Leben aus. Das wiederum wirkt sich auf meine Tochter aus. Sie lebt in SH bei hrem Vater, ich in THÜ. Ist es echt, wenn sie sagt, sie fühle sich wohl so wie es ist? Oder sagt sie es "nur", um mich nicht zu beunruhigen? Stellt sie ihre Bedürfnisse hintan, um als liebes Mädchen zu gelten? Würde sie sich nicht auch gern einmal mit ihrer Mama fetzen, wie es sich für eine pubertierende Jugendliche gehört? Scheint das Wochenende dafür zu kurz? Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich werde ich es auch erst in 20-30 Jahren erfahren.
Trotz aller Unsicherheit meinerseits fühle ich, dass auch das das Leben ist und bedeutet.
Mariaestrella
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Thema: Re: "fragen ohne antworten" oder "ich weiß wie viele, aber wer bin ich?" oder "heulen ohne system" oder "da muss mal luft dran bzw. raus" oder... Mo 27 Feb - 9:12:27
wow....Bremens Niagarafälle lassen grüßen
geht so
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Thema: Re: "fragen ohne antworten" oder "ich weiß wie viele, aber wer bin ich?" oder "heulen ohne system" oder "da muss mal luft dran bzw. raus" oder... Mo 27 Feb - 10:52:11
jeder hat sein päckchen zu tragen und dass dies so ist und ihr schreibt, wie ihr eures schultert...danke euch
@sidney "jeder kunde bereitet uns freude, der eine beim betreten und der andere beim verlassen unseres büros." witzig *g* ja, das kann man auf die meisten anwenden - aber auf familie? da bin ich mir unschlüssig. man nimmts ja so persönlich, weil es eben die familie ist - oder versteh ich den satz falsch?
@maria freut mich, dass du für dich bzw. euch einen weg gefunden hast, zudem es ein konflikt ist, der nicht nur dich betrifft. vorallem weil es eben gerade nicht nur dich betrifft und war es sicher umso schwerer, eine basis zu finden (beschützerinstinkte etc.). mhm oder hat es das erleichtert, weil du wusstest, dass es eben auch für deinen sohn wichtig ist? schwierige situation - vielleicht irgendwie beides...
@hydro "Weißt Du, ich denke, wir sind schlecht im Kämpfen und dafür nicht geschaffen, weil Kämpfen oder Ankämpfen regelmäßig viel Kraft kostet und fast immer mit dem Risiko des Verlierens einhergeht, das uns seinerseits das prächtige Geschenk der Habachtstellung zuteil werden lässt."
wie versteh ich das denn nun wieder?*g* variante a: aufhören mit bzw. um die vergangenheit zu kämpfen, weil es eh nicht mehr zu ändern ist und wir im jetzt leben. sprich - sich nicht an den verletzungen festklammern, damit abschließen und nach einer neuen basis suchen. variante b: aufhören, gegen sich selbst anzukämpfen, alles zur sprache bringen und so eine "reinigung" herbeiführen, um eine neue basis finden zu können (oder eben auch nicht)
das kämpfen nichts bringt, stimmt insoweit, dass ich schon verloren habe und davon kann man nichts wiederbringen. man kann sich immer schlecht selbst objektiv betrachten, aber ich denke, ich kämpfe gegen mich selbst an, um die heile welt anderer zu schützen, zumindest innerhalb dieser welt. nach außen lass ich wohl das raus, was ich innerhalb unterdrücke.
@dihydro hat mich sehr bewegt.*schluck* ich steh an dem punkt, den du beschrieben hast oder zumindest fast. ich bin mir nicht sicher, wie egal es mir ist oder besser, wie egal es mir sein darf. genau das, jemand anderem den spiegel vorzuhalten und zu sagen "das bist du und das hast du bewirkt" - hab ich das recht dazu? wird es mir besser gehen? vielleicht, aber wohl eher nicht, weil mich mein schlechtes gewissen strafen wird, weil ich jemanden dadurch leid zufüge, ihn und sein leben in frage stelle. ich hab es ja schon mal versucht - ich kam nicht durch. es gibt in dieser heilen welt nur eine wahrheit und das ist nicht meine. ich kann das gar nicht beschreiben...man küsst wirklich den wahnsinn, wenn man in einer welt lebt, in der das eigene erleben konsequent als nicht real hingestellt wird. ich nehme an, vielleicht lieg ich da falsch, dass trotzdem das aussprechen aber wichtig war. vielleicht ereilt mich ja noch die erleuchtung, in welcher form auch immer.
hydrophiler
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Thema: Re: "fragen ohne antworten" oder "ich weiß wie viele, aber wer bin ich?" oder "heulen ohne system" oder "da muss mal luft dran bzw. raus" oder... Mo 27 Feb - 22:06:06
Es ist Variante b) mit der Ergänzung des Verzeihens, das keines Dritten bedarf und das ich in der Hand habe. Immer. Ansonsten stünde ich mir ggf. ewig und drei Tage selbst im Weg, zöge unablässig an einem Seil - nenne es Wut, Ärger, Frust, Enttäuschung etc. pp -, verlöre mein inneres Gleichgewicht und lasse nicht ab von dem Seil, weil ich was wollte? Ein Schuldeingeständnis, Reue, eine gerechte Strafe, Absolution erteilen?
Ich habe mein Seil irgendwann losgelassen und denjenigen, der mich kränkte unter ein besonderes Licht gestellt, quasi ins rechte Licht gerückt, das ich Nächstenliebe heiße und das mir mithin geholfen hat, ebenso meine Fehler und Schwächen zu erkennen, die v.a. darin bestanden, das Seil aufgehoben und nicht losgelassen zu haben.
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Thema: Re: "fragen ohne antworten" oder "ich weiß wie viele, aber wer bin ich?" oder "heulen ohne system" oder "da muss mal luft dran bzw. raus" oder...
"fragen ohne antworten" oder "ich weiß wie viele, aber wer bin ich?" oder "heulen ohne system" oder "da muss mal luft dran bzw. raus" oder...